Zwischen Work-Life-Balance und Obstkorb

Ein Apfel wäre jetzt nicht schlecht – denke ich – aber leider war ich diese Woche noch nicht einkaufen. Ach und überhaupt, die letzten Äpfel, die ich gekauft habe, waren nicht gerade sonderlich gut. Eher so wie eine Mischung aus - mit Sand panierten Pfannkuchen und Puderzucker bestäubtem Bimsstein. Dann lieber Trauben, die waren deutlich besser. Bananen? Hmmm,.. dazu sag ich jetzt lieber nichts. Unser eigenes Obst im Garten – Erdbeeren und Himbeeren und Johannisbeeren – hat die zum Essen erforderliche Reife noch nicht erreicht, was gefühlt, bei den Temperaturen, die nicht weit entfernt von den Südpolarkreisen liegt, noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Ja, was soll das eigentlich? Hat nicht unlängst jemand von Erderwärmung berichtet? Welche Erderwärmung, frag ich mich unmittelbar. 

Der warme Kaffeedampf steigt nach oben – ich lasse gerade einen durchlaufen. 

Es ist Anfang Juni und momentan habe ich noch immer die Heizung laufen. Es ist so kalt um diese Zeit, wie schon seit Jahren nicht mehr. Wo also ist die Erderwärmung? Ich mag es warm, davon abgesehen – nicht das hier ein falscher Eindruck entsteht. Ein Blick auf die Uhr – ich möchte nur eine kurze Kaffeepause machen. Ein Apfel – ach ne, ich habe ja keinen da, sollte einkaufen gehen. 
Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss arbeiten, damit ich dann, wenn ich mal Zeit haben sollte, einkaufen gehen kann. Schon witzig – denke ich – und lache über mich selbst.

Na ja, von den üblen Umwelterwärmungen und Veränderungen hört man zurzeit nichts in den Nachrichten. Warum? Ist das etwa auf einmal alles gut? Ich persönlich denke nicht, wenn ich die Nachrichten sehe und von Unwetterkathastrophen, Gerölllawinen, Vulkanausbrüchen und Erdbeben lese. 
Ein Apfel – kennt ihr das, dass man auf das, was man nicht hat, plötzlich einen Heißhunger bekommt? Ich überlege, was ich noch in unseren Garten pflanzen könnte, außer Kürbis, Gurken, Paprika und Tomaten. Ob das alles noch reif wird, in diesem Jahr? Na immerhin muss ich nicht gießen – es regnet ja ständig, was nicht wirklich schlimm ist – beschließe ich – da ich ja eh arbeiten muss.

Wozu also einen Garten haben, wenn ich ihn nicht nutzen kann, weil es immer kalt ist und viel regnet – im Juni – ich könnte ihn als Zeltplatz vermieten – wieder lächel ich vor mich hin – trinke meinen Kaffee. 
Was hätte ich davon? Mieteinnahmen, das ist doch - wie eine Ferienwohnung zu vermieten, dann muss ich das wieder versteuern, und was bleibt dann letztendlich davon übrig? Vielleicht so viel, dass ich dafür - eine Stunde oder auch zwei - früher aufhören kann zu arbeiten, damit ich zum Einkaufen gehen kann, um mir Äpfel zu kaufen? Schließlich will ich auch im Homeoffice einen Obstkorb auf dem Tisch haben. Ja und überhaupt, denke ich dann im nächsten Schritt, was nützt mir diese merkwürdige Work-Life-Balance, wenn das Wetter ständig kalt und schlecht ist, dann arbeite ich doch lieber.

Wenn ich das immer höre, Work-Life-Balance – ich als Selbstständige, die die meiste Zeit im eigenen Homeoffice arbeitet, wer stellt mir den Obstkorb auf den Tisch? Um 15 Uhr Feierabend machen?

Hä – was?

Da mache ich mal eine Kaffeepause, das ist aber auch grad alles, und arbeiten tu ich dann bis kurz vor Ladenschluss. Verstehen kann das sowieso keiner, der das nicht selber durchmacht – ich weiß. 
Ein Apfel wäre jetzt gut. Aber die sind sowieso gerade nicht so gut – rede ich mir ein. Der letzte war wie ein in kaugummigelgetunkter Schwamm – nicht wirklich gut. Was wird uns in den Läden angeboten? Ein Netz mit Äpfeln, in dem mindestens einer ohnehin schon reif für die Biotonne ist. Aber jetzt schweife ich ab. Über was wollte ich mir eigentlich Gedanken machen? Äpfel? Das Wetter? 
Ach ja, der Obstkorb. Ich habe mal gelesen, dass man sich den ja jeden Tag schicken lassen kann. Hmm, das sollte ich tun, dann würde ich mir schon einen Gang zum Einkaufen sparen. Na ja, ich brauch ja noch andere Sachen, aber ja, auch die könnte ich mir schicken lassen. 
Ist dass dann schon Work-Life-Balance? Alles, was mich davon abhält, meine Freizeit zu genießen, outsourcen, damit ich Zeit für mich und meine Freizeit habe? 
Das kostet aber – na ja, dann mach ich halt Überstunden, damit ich es mir leisten kann. Was dann aber dazu führt, dass ich so viel arbeite, dass ich nur noch müde ins Bett falle – und keine Ambitionen habe, Freizeit auszukosten, was mir dann ohnehin viel zu anstrengend wäre, weil ich dann froh bin, meine Ruhe zu haben – also zum Teufel mit der Work-Life-Balance. Ich arbeite lieber meine Zeit, in meinem Büro, gehe einkaufen – kurz vor Ladenschluss – und genieße mit meinem Mann den Garten, auch bei Regen. Und wenn die neue Ernte von Äpfeln kommt, gibt es sicherlich auch wieder genießbare davon.

Jetzt trinke ich erst mal meinen Kaffee.
Frohes Schaffen.
Eure Manuela Maer