... wenn der Wind dich erreicht - der Sturm dich hält - dann wehe dir, lauf... dreh dich nicht um.

Ilya Duvent - Der Sturm in Dir

Leseprobe

... ... ... Von Weitem näherte sich ihnen eine hochgewachsene, dunkle Gestalt. Schlagartig spürten die Zwei, dass sie das Ziel desjenigen sein mussten. Je weiter sich der Dunkle ihnen näherte, umso stärker schien der Wind zu fauchen, der sich schon zu einem Orkan aufblähte.
»Um Gottes willen, Gustave, wer ist das?« Isabelle schrie voller Angst. »Komm, weiter! Halte dich nicht auf! Es ist nicht mehr weit.«
Energisch zog Gustave Isabelle mit sich und kurz darauf erreichten sie den Eingang zur Hexengasse. Nur noch ein kurzer Weg durch die Gasse und sie wären in Sicherheit, froh, endlich frei zu sein, glücklich, ihre Liebe leben zu dürfen. Verängstigt blickte Isabelle zurück.
Die Gestalt, die eben noch bedenklich nahe schien, war verschwunden. Gleichzeitig hatte der Wind aufgehört und eine beunruhigende Stille umhüllte das junge Paar. Schwer atmend und sich fest an den Händen haltend liefen sie weiter. Sobald sie allerdings den ersten Fuß in die Gasse gesetzt hatten, blähte sich der Sturm erneut auf und diesmal schien er noch stärker um ihre Körper zu brausen.
»Er wird uns töten!«, stammelte Isabelle entsetzt vor sich hin.
»Er wird uns töten! Ich weiß es. Ich fühle es. Gustave, ich habe schreckliche Angst!«
»Schnell, schnell, versteck dich! Dort drüben, hinter dem Mauervorsprung. Ich werde versuchen, ihn aufzuhalten.« Und während sie durch die enge Gasse hetzten, pfiff der Wind um ihre Gesichter. Getrieben von Todesangst schauten sie sich an. Langsam verloren ihre Hände den Halt aneinander. Ihre Fingerspitzen, das letzte Verbindungsglied, lösten sich. Verzweifelt streckten sich ihre Hände wie Magnete entgegen, doch eine heftige Windböe riss sie endgültig auseinander. Isabelle stolperte, fing sich jedoch wieder und lenkte mit ihrer letzten Kraft die Schritte in Richtung der Mauer. Dort wollte sie sich verstecken, wie ihr Gustave geraten hatte. In der Hoffnung, er könnte den Übeltäter von Isabelle ablenken, jagte der junge Mann die abschüssige Gasse hinab. Er beabsichtigte damit, die Aufmerksamkeit des Verfolgers voll und ganz auf sich zu ziehen, denn mittlerweile hatte er erkannt, dass zwischen dem Sturm und der dunklen Gestalt ein unmittelbarer Zusammenhang bestand. Immer stärker spürte Gustave die Kraft des Sturmes in seinem Gesicht und am ganzen Körper. Es kostete ihn große Mühe, seine Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten. Wenn er nur den Abstand zu seiner Angebeteten vergrößern könnte, um ihrer beider Jäger von ihr fortzulocken.
Vor ihm krümmte sich die Gasse stark nach rechts. Dadurch war er gezwungen, seine Schrittfolge zu verlangsamen, und DAS wurde ihm zum Verhängnis.
Der orkanartige Wind nahm ihm jede Kontrolle. Rücklings wurde er so heftig an die Mauer gepresst, dass die hervorstehenden Steinbäuche schmerzhaft in seine Wirbelsäule drückten. In seiner Not wollte Gustave nach Isabelle rufen. Er schrie gegen den Sturm an, jedoch konnte seine Stimme die unheimliche Gewalt nicht übertönen.
Das unmittelbar darauffolgende verhöhnende Lachen trieb ihm eine Gänsehaut über den Körper. Verängstigt saß Isabelle hinter der Mauer und hatte sich fast gänzlich unter den dort wachsenden Hagebuttenstrauch gedrängt.
Die dornigen Zweige bohrten sich in ihre Arme und hinterließen blutige Striemen. Sie spürte es nicht, zu groß war ihre Angst, zu sehr war sie damit beschäftigt, sich des rasenden Sturmes zu erwehren. Ihr Herz schlug heftig, so als wolle es zerspringen. Voller Wehmut dachte sie an ihren Gustave, bangte um ihn. Schlagartig und völlig unerwartet wurde es still.
War der Spuk vorüber?
Nicht nur Windstille, nein, beängstigende Totenstille breitete sich aus und legte sich wie ein bedrohlicher Schatten über das Viertel.

Die beiden Verfolgten wagten kaum, zu atmen... ... ...