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    Blick ins Buch!

Manchmal genügt die Hoffnung nicht.

 

Rastatt - in der alten Akabott-Villa
»Ich muss nach oben auf den Dachboden. Ich muss herausfinden, was es damit auf sich hat«, und zeigte den anderen ihre Handfläche, in der noch immer die Szenerie um den Fahrradunfall des Postboten ablief. »Unverändert, obwohl ich ihn angerufen habe.« Schulterzuckend machte sie sich auf, um nach oben zu gehen. »ABER NICHT ALLEIN!«, antworteten Emil und Pascal fast gleichzeitig. Christiane war aufgesprungen: »Wenn das so ist, gehe ich mit!«. Das letzte Wort war gesprochen. Das Grüppchen setzte sich in Bewegung. Sie gingen nicht direkt durch den Flur, um den zwei Dämonen und dem Ex-Dämon nicht in die Quere zu kommen. Sie nahmen den Weg durch die Verbindungstüren der einzelnen Zimmer und kamen so an den Treppenabsatz, der nach oben führte.
Kurz darauf standen sie vor der Speichertür und Julia steckte den Schlüssel in das Schloss, woraufhin sich die Tür öffnete. Pascal stellte eine Kiste vor die Tür und Christiane nahm den Besen und fegte wild durch die Luft, um die restlichen Spinnweben zu beseitigen, die Julia letztes Mal noch nicht erwischt hatte. Emil stand vor dem Sekretär, aus dem Julia das Säckchen mit dem Medaillon hatte. »Da sind noch mehr Mechanismen. Da gibt es sicher noch viel zu entdecken.«
Christiane wollte ein anderes Stück von dem weißen staubbedeckten Tuch befreien. »Stopp!«, rief Julia. »Das staubt so arg. Lass uns das zusammen machen, dann vermeiden wir das Schlimmste.« Gemeinsam deckten sie vorsichtig einen weiteren Schrank ab. Er war gerade so hoch, dass sie noch darüber hinweg schauen konnten. Dieser hier war aus fast schwarzem Holz. Über und über mit Intarsien und hineingefrästen Ornamenten bedeckt, übte er, und das nicht wenig, eine solche Faszination auf die zwei Frauen aus, dass sie gar nicht mehr davon ablassen konnten. Pascal bemerkte es. Er tippte Emil auf die Schulter und wortlos deutete er ihm an, dass sie das Möbelstück wieder abdecken sollten. »Hey, was tut ihr da«, Julia wehrte sich. »Was soll das?«, beschwerte sich auch Christiane.
Staub schwebte in der Luft. Wie eine kleine Explosion musste Julia laut und herzhaft niesen. Sie schaute perplex, dann verstand sie und zog ihre Freundin von dem Möbelstück fort. »Was um Himmels Willen war das?«. Ihr fragender Gesichtsausdruck sprach Bände. Emil meinte nachdenklich: »Ich nehme an, dass auch hier ein Bann darüber liegt. So könnte sich, zum Beispiel, ein Mann eine Frau gefügig machen.« Pascal nickte zustimmend. »Was soll das heißen? Etwa wenn ein Mann dieses Möbelstück besitzt, wird die Frau, die sich mit im Zimmer befindet willenlos?«, Christiane hatte ihre Augen weit aufgerissen vor Entsetzen. Emil nickte zustimmend. »Es beugt den Willen von Personen für einen bestimmten, gewünschten Zweck. Ich habe davon gelesen. Dass es so etwas tatsächlich gibt, hätte ich nicht für möglich gehalten.« Daraufhin lachte Christiane und meinte: »Das müsste dann in alle Richtungen und Konstellationen möglich sein. Wir müssen nur herausfinden, wie wir es in die eine oder andere Richtung aktivieren. Ich fasse es nicht. Man muss hier wirklich bei jedem Stück aufpassen«, Christiane schaute umher. »Es ist ja nur eine Annahme«, beschwichtigte Emil. »Es könnte auch grundsätzlich dafür verwendet werden, jemanden bei Sichtkontakt auf dieses Möbelstück willenlos zu machen, sodass derjenige dann zwielichtige Verträge unterschreibt.« Nachdenklich betrachtete er den abgedeckten Schrank.
Julia war derweil weiter nach hinten gegangen. »Ich fürchte fast, dass wir hier bei jedem dieser Möbelstücke damit rechnen müssen, dass es irgendetwas Mystisches beherbergt. Es fragt sich nur immer, was es wohl ist. Ihr habt recht. Keiner sollte allein hier hochkommen.«
Da war er. Mit klopfendem Herzen stand Julia vor dem Spiegel. Das Licht flackerte. Sie schob sich näher ran. »Warte!«, rief Pascal. Julia trat unbeirrt, von ihrer Neugier getrieben, so nah an den Spiegel, dass sie ihn ohne Mühe berühren konnte. Vorsichtig tippte sie die kalte Spiegelfläche an.

Sofort reagierte die Fläche und es folgte ein leuchtendes Wabern. Das zarte Leuchten, das den Nebelschleier begleitete, der unmittelbar hervortrat und Julias Hände einhüllte, brachte auch Julias Haut zum Leuchten. »Das ist schön und beängstigend zugleich. Christiane, schau dir das an!«, rief sie. Pascal stand hinter ihr, bereit zuzupacken. Mit einem Mal schien sich die Spiegelfläche zu bewegen. Julia führte ihren Zeigefinger in die Masse, die sich, wie sie es kannte, eiskalt anfühlte. Ein Kribbeln erfasste ihren Körper. »Was bist du? Was willst du? Warum hast du eine Spur auf meiner Hand hinterlassen?«, murmelte sie. Plötzlich schossen zwei schwarze Klauen aus der Fläche hervor und packten Julia bei den Handgelenken. Lange knochige Finger umhüllten sie, die zerklüfteten Fingernägel pressten sich schmerzhaft in Julias Arme. Sie begannen an Julia zu ziehen. Silberglizernde Schlangenfinger schossen hervor und umhüllten ihre Hände und Arme zusätzlich. »EEEMIIIL! RAUS HIER ... UND SCHLIESS DIE TÜÜÜR«, schrie sie geistesgegenwärtig. »EEEMIIIL .... RAUUUUS!«, Pascal schoss vor und umfasste Julia und zog seinerseits an ihr. Emil reagierte, auch wenn er nicht sah, was da gerade passierte. Der Ton, mit dem Julia gerufen hatte, verursachte ihm eine Gänsehaut. Er eilte zur Tür, kickte die Kiste zur Seite, sprang hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Just in dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fiel, zerrten die Hände so an Julia, dass sie bis zu den Ellenbogen im Spiegel steckte. »PASCAAAL!«, schrie sie, der wiederum an ihr zog. Christiane kam dazugehechtet und beteiligte sich. Gemeinsam schafften sie es Julia Zentimeter für Zentimeter zurückzuziehen. »BITTE, LASST MICH NICHT LOS!«, rief Julia voller Angst. »AUUU, DAS TUT WEHHH!«. Mit aller Kraft stemmte sie sich dagegen. »NEIIIN, ICH GLAUBE DA BEISST MICH ETWAS. NEIIIN. HILFE!«. Unerwartet ließ das, was sie festgehalten hatte nach und so stolperten alle drei rückwärts und saßen zwei Schritte danach auf dem Boden. Julias Arme und Handgelenke waren blutverschmiert und brannten wie Feuer. Gespannt schauten sie auf die Spiegelfläche, die so dermaßen in Wallung geraten war, dass sie wie eine stürmische See Wellen schlug, aus der heraus immer wieder diese schwarzen Klauen ragten. Klauen, die sich fordernd am Rahmen festhielten und nach und nach ein schwarzes Ungetüm hervorzogen, das aussah, als wäre es eben aus der Hölle entsprungen. Entsetzt robbten die drei auf dem Hosenboden weiter zurück. Pascal stand zuerst auf den Beinen und half erst Christiane und dann Julia auf die Füße. Immer weiter kam es aus dem Spiegel heraus. Augen waren keine zu erkennen, nur ein schwarzer, klumpiger, pechtriefender Kopf auf einem knochendünnen Körper, der ebenfalls schwarz mit schleimiger, pechschwarzer Masse überzogen war. »LOOOS, RAUS HIER!«, schrie Pascal und zog die Frauen mit sich. Sie rannten nach vorne zur Tür und klopften wie wild dagegen. »EMIL, MACH AUF! .... EMIIIL!«, brüllten sie durcheinander. Sie hörten den Türmechanismus. Pascal riss die Tür auf. In seiner Angst zu fest schob er Christiane hinaus. Julia schaute den schmalen Gang nach hinten. Das schwarze, schleimig, pechtriefende Etwas stand da, schien in ihre Richtung zu sehen, obwohl keine Augen vorhanden waren. Ruckartig setzte es sich in Bewegung und wurde immer schneller. Sie warf sich herum, sprang hinaus und Pascal zog hinter ihr die Tür zu.
»Somit ist wohl geklärt«, mutmaßte Pascal. »Warum dieser Speicher mit einem Bann gesichert ist.« Julia saß schwer atmend auf der Treppe: »Wer weiß, was da noch alles oben ist. Herrje, was hat Akabott da nur alles gesammelt?«.