Tief atme ich durch. Vor mir eine große Tasse Kaffee und ein belegtes Brötchen. Neben mir auf der Bank die vollgestopfte Stofftasche mit den Dingen, die ich für meine Tochter und mich gekauft habe.
Bevor ich zurückgehe, mache ich eine kleine Pause im gemütlichen Sitzbereich der dortigen Bäckerei. Das Fenster im Rücken und den Blick auf die Kassenzeile gerichtet nippe ich am viel zu heißen Kaffee.

Ein ständiges Gewusel an Menschen jeglicher Nationalität geht in den Laden hinein und hinaus.

Schnell, langsam, schlurfend, hinkend, mit Rollstuhl, mit Krüggen, fröhlich, lachend, ernst, nachdenklich – ich könnte hier wohl noch mehr meiner Beobachtungen aufzählen. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich diese Menschen sind. Und doch verbindet sie eine Gemeinsamkeit – kommt mir so in den Sinn – sie alle haben Hunger und kaufen deswegen hier ein. Sie müssen allesamt ihre alltäglichen Bedürfnisse stillen, ganz gleich, ob es nun die unnötige Schokolade ist oder das Mehl für die Pfannkuchen.
Das ruft natürlich, bei dieser Menge Menschen, ein ganz anderes Problem auf den Plan. Mir fallen die Männer vom Sicherheitsdienst auf. Ich frag mich, ob sie schon die ganze Zeit hier arbeiten dürfen oder ob das noch ein Relikt aus Coronazeiten ist. Da ich zuvor hier nicht war, kann ich es nicht sagen, aber ich nehme an, dass es schon vorher so war. Denn allein in der Zeit, in der ich hier sitze und beobachte, hetzen die Männer immer wieder in unterschiedliche Richtungen davon. Immer wieder sehe ich, wie sie mit ihren Walkie-Talkies reden, sich absprechen. Immer wieder werden Personen angehalten und überprüft, ganz gleich wie sie aussehen.

Warum eigentlich? Frag ich mich.

Warum müssen wir, mit den Preisen die wir zahlen, diese Männer mitfinanzieren. Nur weil einige wenige sich unsozial verhalten und Dinge mitgehen lassen – sicher aus den unterschiedlichsten Gründen heraus. Es entschuldigt trotzdem nicht, dass diese Menschen es tun, und auch hier ist es letztendlich so, dass die dadurch entstehenden Kosten, in den meisten Fällen, auf die Allgemeinheit umgelegt werden – nehme ich an.
Also diese Sicherheitsleute, die hier zur Abschreckung vor dem Kassenbereich stehen und aufpassen und kontrollieren, sorgen dafür, dass vielleicht ein geringer Anteil der weniger braven Menschen, abgeschreckt wird.

Und die anderen?

Soeben blitzt eine der Sensorleuchten auf und der Alarmpieper ertönt, was bedeutet, dass die Person, die da gerade bezahlt hat und durchging, wohl noch mehr in der Tasche hat als das, was auf dem Kassenband lag. Er reagiert gar nicht und will weggehen, noch nicht mal eilig. Er hat aber die Rechnung ohne den Sicherheitsmann gemacht, der in sicher nicht weniger als fünf Schritten bei ihm steht. Sie reden, der Mann von der Sicherheit scheint zunächst freundlich. Die Person zieht einen Henkel der Tasche von der Schulter und lässt ihn bereitwillig hineinschauen. Wieder unterhalten sie sich und die Person zückt mit den Schultern, wirkt betroffen – eher unschuldig in meinen Augen. Der Sicherheitsmann schickt die Person nochmal durch den Kassenausgang und wieder reagiert der Sensor. Diesmal hält er die Person am Ärmel fest und zieht sie mit sich mit. Ich sehe, wie sie zur Seite gehen und bei einer Ablage halt machen. Dort räumt die Person die Tasche leer. Ein weiterer Wachmann kommt hinzu, bleibt aber im Hintergrund. Jetzt lässt der Mann mit der Aufschrift Security auf dem Rücken, die Person ohne Einkäufe durch den Sensor gehen, diesmal blinkt kein rotes Licht auf.


Was macht er jetzt? Denke ich. Offensichtlich hat die Person nichts gestohlen.


Der Sicherheitsbeamte nimmt nun den Kassenzettel und scheint die Ware zu überprüfen – alles scheint zu stimmen. Er schaut die Sachen genau an, nimmt dann etwas, was aus der Entfernung aussieht wie ein abgepacktes T-Shirt und streckt es durch den Sensor. Es piept und das rote Licht leuchtet. Er zückt sein Handy und fotografiert den Kassenzettel und die Ware.
Mir fällt auf, dass in der Zwischenzeit zwei weitere Wachleute an der Stelle stehen, an der er zuvor gestanden hatte. Sie beobachten die Kassenreihen während er seine Arbeit macht.
Plötzlich hilft er der Person die Waren wieder in der Tasche zu verstauen, gibt ihr die Hand und lässt sie gehen. Er geht zu seinen Kollegen, spricht mit denen und verschwindet dann im Einkaufsbereich.
Mein Kaffe ist inzwischen abgekühlt, jetzt kann ich ihn trinken, ohne mich zu verbrennen. Hier wird einem ganz schön etwas geboten.
Oh, da kommt er wieder. Jetzt hat er etwas in der Hand, dass aussieht wie die Ware von der Person zuvor. Er geht durch eine Kasse, lässt es von der Kassiererin entwerten und will am Sensor vorbeigehen. Kurzes piep piep und rotes Licht. Er schüttelt den Kopf, gibt es nochmal der Kassiererin, die wiederholt den Vorgang, nochmal Sensor und wieder reagiert die Anlage mit ihrer Warnung. Er geht durch, zu seinen Kollegen, zeigt es ihnen und wirkt etwas ungehalten. Dann verschwindet er – mit der Wahre.


Mein Brötchen ist leer – der Kaffee noch halb voll. Der Sitzbereich hat sich gefüllt mit lauter fröhlichen Menschen. Ja, sich zu treffen, zu reden, Spaß zu haben kann schon glücklich machen.


Wie wir sehen, entdecken diese Sicherheitsmänner nicht nur Diebe und unehrliche Menschen. Es hat offensichtlich, ausgerechnet heute, als ich hier sitze, jemanden erwischt, der nichts dafür kann, dass die Anlage losgeht.

Ein Fehler im System.

Die Kassiererin kann sitzenbleiben und weiter ihrer Arbeit nachgehen, weil der Mann der Sicherheit jetzt den Papierkram erledigt. Ich nehme an, dass er es an irgendeine Stelle meldet, die dass dann regelt. Oh, da läuft er schnellen Ganges vorbei – einen Zettel in der Hand und die Ware. Er geht in die Richtung, in der die Büros liegen.
Also gut – denke ich – irgendwie haben wohl alle hier eine Daseinsberechtigung. Wenn also die Tatsache, dass wir hier einkaufen, dafür sorgt, dass ganz viele Menschen dadurch bezahlt werden, weil sie eine Arbeit haben – gleich egal welche Gründe es dafür gibt – dann ist es einfach gut so. Dann kann er zumindest heute beruhigt nach Hause gehen, weil er einen Fehler im System entdeckt hat und wohl dafür gesorgt hat, dass dieser beseitigt wird.
Der Kunde hat heute Abend etwas zu erzählen. Es war sicherlich ein Schreck für ihn, aber im Grunde hat auch er dazu beigetragen, den Fehler im System aufzudecken – ob ihm das bewusst ist?


Im Grunde sind hier alle wie kleine Zahnräder. Sie greifen ineinander und treiben oder bremsen oder sorgen für eine andere Übersetzung. So ist es überall – im Grunde.


Welches Zahnrad bin dann ich?