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    Blick ins Buch!

Ohne Rückkehr, ohne Umkehr,
ohne Blick zurück.
Schau in das Gesicht deiner Zukunft,
und du wirst dich wahrhaft erkennen.

Wie die Dämonen zu Dämonen wurden ... Teil 4
Mit hängendem Kopf lies der von Roog ab. Drehte sich zum Tisch und knallte beide Hände darauf, um sich im Anschluss daran abzustützen. »Was habe ich meiner Maledin nur angetan. Ich war zu selbstsüchtig, habe zu sehr an den Regeln festgehalten, aus Angst vor Veränderungen. Ich hätte ihrem Drängen nachgeben müssen. Dem Drängen aller meiner Kinder. Sie waren sich einig. Was habe ich nur getan?«
»Komm mit mir«, verlangte Roog. Seine Anspannung stieg unbemerkt und er machte sich bereit aufs Äußerste zu gehen.
Die Fackeln an den Wänden bewegten sich kaum, alles schien still zu halten, um die Entscheidung des großen vollbärtigen Mannes zu hören. »Kann ich noch etwas retten? Kann ich das verletzte Herz meiner Tochter wieder heilen? Wird sie mir verzeihen?« »Das, Wittro Esok Fork, wirst du nur erfahren, wenn du mir folgst. Bedenke, ich stände nicht hier, wenn nicht eine Chance darauf bestände. Vertraue mir, wie du mir schon seit Anbeginn deiner Zeit vertraust.« Maledins Vater schaute auf. Diese Worte machten ihm Mut und der erleichterte und gütige Ausdruck in seinen Augen zeigte Roog, dass er gewonnen hatte. »Dann lass uns sofort gehen«, dabei drehte sich Roog erleichtert zur Tür und verstaute dabei den Dolch sicher in seiner Hülle. »Dein Pferd wird unten auf dich warten.« So verließ er rasch den ehemaligen Herrscher.
Lang mussten sie nicht ausharren. Roog und seine Begleiter saßen schon, mit Fackeln in den Händen, auf den Pferderücken, als Maledins Vater herauskam. Der Stallbursche, der inzwischen vom fünften Druiden geweckt worden war, um dessen Ross reitfertig zu machen, half ihm, aufzusteigen, und überreichte ihm dann ebenfalls eine Fackel.
Wohlwollend nahm Wittro Esok Fork wahr, dass Roog sich derart um ihn sorgte, dass er ihn nie ohne Schutz durch die Wälder reiten ließ. Zwei ritten voraus und zwei hintendrein.

***

Maledin saß schlafend, zusammengekauert vor der Mulde. In der Ferne, über den Berg hinweg, schob sich die aufkeimende Helligkeit langsam in den Horizont. Nicht mehr lang und die Sonne würde aufgehen. Abrupt wurde Maledin aus ihrem Schlaf gerissen. Für einen kleinen Moment irritiert, sprang sie auf und griff dabei nach ihrem Schwert. Angestrengt horchte sie in die Dunkelheit. Natürlich nahm sie das Hufgetrappel wahr, der Grund, weswegen ihr Pferd die Ankömmlinge freudig begrüßt hatte. Angestrengt versuchte Maledin herauszufinden, wie viele es sein mochten.
Einige Minuten später sah sie einige Reiter, die sich ihr mit Fackeln in den Händen näherten. Sie erkannte ihren Vater. Sofort klopfte ihr Herz so schnell, dass sie glaubte, es würde gleich zerspringen.
»Maledin!«, rief der alte Herr schon von Weitem. Behände glitt er vom Pferderücken und eilte den Rest zu Fuß auf den Felsen zu. Roog und die anderen taten ihm nach. Der Körper der jungen Frau begann zu kribbeln und kleine leuchtende Nebelschwaden krochen aus ihren Fingern. »Geht es dir gut?«, rief ihr Vater keuchend am Fuße des Felsens stehend, zu ihr hinauf. Überrascht von der Situation stand sie wortlos da. Fremde Stimmen züngelten um sie herum und wisperten ihr immer wieder zu.
»Jetzt ist es soweit. Endlich bist du am Ziel deiner Wünsche. Du wirst unendliche Macht erhalten. Alles wird dein sein.«
Ohne zu zögern, kletterte Maledins Vater die Steinstufen hinauf. Ihm fiel nicht einmal auf, dass ein waberndes Leuchten in einer Halbglocke über den Felsen hinwegzog, als er die unsichtbare Barriere durchdrungen hatte. Roog tat ihm nach, während die anderen sich unten am Boden platzierten.
Die vermeintlich beinahe abgebrannten Fackeln, die nach wie vor um den Felsen verteilt im Boden steckten, flammten auf, so als hätten sie neue Energie bekommen.
Maledin stand oben auf der Kuppe. Erstaunt, weil die beiden Männer so ungehindert auf den Felsen kletterten. Perplex, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass ihr Vater so plötzlich vor ihr stehen könnte.
Er redete unermüdlich auf sie ein. Sie hörte seine Stimme, nahm allerdings den Sinn seiner Worte nicht wahr. Sie legte ihren Kopf schief, konzentrierte sich, um ihn besser zu verstehen. Die fremden Stimmen nahmen ihr jedoch jegliche Möglichkeit. Sie fühlte sich, als wäre sie in einer Masse aus zähem Schleim gefangen. Da stand er also vor ihr. Groß und mächtig, wie sie ihren Vater kannte und er breitete seine Arme aus, der Meinung unterlegen, dass sie glücklich über sein Erscheinen war.

Plötzlich sah sie Roog hinter ihm. Noch bevor sie auch nur im geringsten hätte reagieren können, hatte der den vergifteten Dolch, den er unter seinem Umhang versteckt gehalten hatte, hervorgeholt. Ohne zu zögern rammte Roog dem alten Herrn zielsicher die Spitze durch die Menge der Gewänder in den Oberschenkel. Maledin schrie auf.
Ihr Vater drehte sich abwehrend zu Roog herum, brach allerdings zusammen, noch bevor er etwas sagen konnte, und lag schwer atmend vor den Füßen seiner überraschten Tochter. Sprachlos stand sie da, mit beiden Händen fest an den Griff ihres Schwertes geklammert.
Roog hielt seine Hände in die Höhe. Erneut drangen schwarze Nebelschwaden aus seinen Fingern und wirbelten wild umher. Sofort nahm Maledin eine verteidigende Haltung ein. Drohend hielt sie das Schwert über ihren Vater in die Höhe, die Spitze auf Roogs Brust zeigend. Die schwarzen Nebel krochen wie Schlangen durch die Luft und begannen sich um die Schneide zu winden. Unmittelbar reagierte Maledins Körper und die weißen, schimmernden Nebelschleier zogen aus ihren Händen über den Schaft des Schwertes dem unheildrohenden Grauen entgegen. In der Mitte der Schneide trafen sie sich und das Gemisch begann zu leuchten. »Maledin, hör mir zu!«, rief Roog beschwörend. »Dies ist die einzige, die wahre Chance, für dich. Bringe den Mächten jetzt, in dieser Stunde, ein Opfer dar. Noch vor Sonnenaufgang. Du allein wirst die Herrscherin der magischen Zirkel sein. Du allein wirst herrschen und bestimmen über sein und nicht sein. Du bist unsere Königin.«
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, sank er zu einem Kniefall nieder und senkte sein Haupt. »Maledin, nein, tu es nicht!«, keuchte indes ihr Vater mit leiser Stimme. Er war nicht imstande, sich zu bewegen.
Der Druide sprach leise weiter, ohne sie anzusehen. »Opfere deinen Vater. Zeige den Mächten der Dunkelheit und des Lichts, dass du ihrer würdig bist.«
»Nein Maledin, Tochter, hör nicht auf ihn!«
»Das Blut muss den Stein hinunterfließen, noch bevor die Sonnenstrahlen auf ihn treffen. Du bist unsere Königin. Du bist die Mächtige, die einzig Wahre.« Ein Kribbeln durchzog ihren Körper. Das weiße Leuchten hatte beinahe gänzlich von ihr Besitz ergriffen. Sie haderte, spürte das Verlangen Roogs Worten nachzugeben.
Plötzlich begann der Körper ihres Vaters zu schweben. Sachte bewegte er sich auf die Stirnseite des Felsens zu und senkte sich erst, als dessen Kopf über der Mulde lag.
Die dunkelgewandeten Männer, die unterhalb des Felsens ausharrten, hatten mit einem furchteinflößend wirkenden Singsang begonnen. Maledins Wille wurde immer mehr in Bann gezogen. Selbst die fremden Stimmen drängten sie nach wie vor: »Das ist das, was du wolltest. Du hast es in der Hand. Die Macht gehört dir. Tu es!«
Der Singsang wurde lauter, die Nebel umhüllten Maledin und wie von unsichtbaren Kräften getrieben setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie über ihrem Vater stand. Sie stemmte das schwere Schwert hoch über ihren Kopf. »Nein Maledin! Tu es nicht! Ich bin es, dein Vater! Maledin!«
Da krachte es am Himmel.
Ein lauter Donner grollte zwischen den Berghängen. Grelle Blitze folgten. Der Horizont erhellte sich von Sekunde zu Sekunde mehr. Die Erde drehte sich unweigerlich, sodass die Sonne nur noch wenige Minuten benötigen würde, um ihr Tagwerk zu beginnen.
Wabernde Nebel, das lauter werdende Summen, Roogs eindringlicher Blick und das erneute Aufblitzen am Himmel und tiefe Donnergrollen hatten die junge Frau jetzt vollkommen in den Bann gezogen.
Sie reckte ihr Gesicht gen Himmel, senkte die Augenlider und mit einem erneuten Donnerschlag grellte ein unmenschlicher Schrei aus ihrem Hals. Mit bestialischer Kraft trieb sie ihr Schwert nach unten und alle Magie, die sie umgab, half ihr in diesem Moment.
Dann war es still, wenngleich nur für wenige Augenblicke.
Ein sattes matschendes Geräusch war zu hören, und in eben dem Augenblick, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Felsen treffen wollten, rollte der Kopf ihres Vaters in die Mulde hinein. Blut schoss aus dem Körper heraus und lief ohne Umweg die Riefen hinunter.