Die Hälfte der Wegstrecke ist geschafft.
Diesmal so ganz anders als sonst – ohne Dramen, ohne Gezeter – ohne Verspätung, aber ich will mal abwarten, was noch kommt. Wie immer sitze ich in einem Waggon mit Ruheabteil. Ruhe, die ich natürlich genieße – mit einem Ohr einfach nur dem dumpfen Geräusch der Räder lausche, mit dem anderen versucht, eventuelle Geschehnisse nicht zu verpassen. Heute – wirklich nichts. Der Schaffner kommt gerade wieder durch, nach dem letzten Halt, um die Fahrkarten der zugestiegenen Fahrgäste zu kontrollieren.
Wenn also so gar nichts los ist heute, mache ich mir so meine eigenen Gedanken.
Warum zum Beispiel, wird der Restaurant-Waggon eigentlich immer so fast ans Ende der Zugreihe gepackt? Warum nicht in die Mitte der Reihe? Wenn ich mir einen Kaffee holen möchte, muss ich fast einen Kilometer laufen, bis ich dort bin.
Ok, der Kaffee ist wenigstens so heiß, dass er selbst, als ich an meinem Platz sitze, noch immer zu heiß zum Trinken ist.
Jetzt mal ehrlich, bis ich im Rastaurantwagen überhaupt bin, habe ich ein Training – ähnlich wie eine Woche täglich Fitnessstudio – hinter mir. Das Ganze nochmal zurück, diesmal mit einem heißen Kaffee in der Hand. Stolpere, schwanke, in der Hoffnung, niemandem etwas auf den Schoß zu kleckern. Aber nein, es passiert nichts und alle sind sogar so nett und ziehen ihre Beine ein, schieben Gepäck zur Seite, keiner meckert oder zickt, weil ich durchlaufe. Was ist nur los heute? So kenn ich das gar nicht. Werde ich hier und heute mal eines Besseren belehrt und könnte dadurch den Glauben an die Menschheit mal etwas aufmotzen? Wirklich keiner! – Ich lächle dankbar einen jungen Mann an, der seinen übergroßen Rucksack zur Seite zieht.
Verschwitzt, froh nichts verkleckert zu haben, komme ich wieder an meinen Platz. Ich bin fertig, aber das macht nichts, ich habe ja noch drei Stunden Fahrt vor mir, in denen ich mich wieder erholen kann. Und dann, ich habe meinen Kaffee noch nicht mal zur Hälfte leergetrunken, da läuft die nette Frau vom Boardrestaurant mit einem Tablett in der Hand durch. „Frischer Kaffee!“, ruft sie. Auf dem Tablett vier Kaffeebecher, zudem noch einige süße Riegel. Maaaan, denke ich, wenn ich das gewusst hätte. Aber ich freue mich, denn ich hatte immerhin ein Erfolgserlebnis – meinen Kaffee, ohne zu kleckern an den Sitzplatz gebracht. Sie lächelt mich an und streckt mir einen Kinderiegel entgegen. Etwas perplex nehme ich ihn und will nach meinem Geldbeutel suchen, da flüstert sie mir zu, dass ich den jetzt von ihr bekomme, als Wegezoll. Fast bin ich sprachlos, schaffe es aber gerade noch, mich bei ihr zu bedanken. Sie ist wirklich nett.
Es ist wieder still im Abteil und außer, dass es nach Kaffee duftet, tatsächlich nichts Außergewöhnliches.
Das ist selten – muss ich zugeben. Sonst geschieht immer etwas und ich überlege, ob ich ein Lied anstimmen soll. Aber nein. Erstens traue ich mich das nicht und zweitens ist das ein Ruhe-Abteil. Also lieber nicht, ich möchte nicht der Anlass sein für Stress im Zug.
Das orangefarbene Abendlicht schaltet sich ein und taucht das Abteil in ein warmes gemütliches Licht. Wohl das einzig Spektakuläre auf meiner heutigen Zugfahrt. Meine Woche in Hamburg geht mir durch den Kopf. Sie war ruhig, entspannend und ereignisreich zugleich. Ich muss lächeln, wenn ich daran denke. Die Arbeitswoche, die jetzt vor mir liegt, durchschwebt daraufhin meine Gedanken und tatsächlich. Es wird eine ruhige Woche werden, in der ich hoffentlich mal einiges von meinem Stapel abgearbeitet bekomme. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal Zeit, mir am Sonntagabend Gedanken über die kommende Woche zu machen? Schon eine Weile her.
Die Service-Dame kommt zurück, das Tablett leer. Sie blinzelt mir zu beim Vorbeigehen, was mich wieder zu meinem Gedanken von vorhin bringt. Der Waggon gehört einfach viel weiter in die Zugreihenmitte. Ich wäre dafür, dass wir darüber abstimmen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass sie dadurch viel mehr verkaufen würden, weil sich viel mehr Fahrgäste dadurch auf den Weg machen würden. Ob sie das mal durchdacht haben? Wer weiß das schon, ich würde mir jedenfalls viel eher einen Kaffee besorgen – und muss bei dem Gedanken lachen. Ich bin doch auch so dorthin geschwankt. Vielleicht auch einfach, weil ich mir die Beine vertreten wollte.
Ok, ich komme zu dem Schluss, dass – wenn ich von mir aus gehe – ich zum Restaurant gehe, egal an welcher Stelle es sich in der Zugreihe befindet. Es wäre im Grunde doch nur bequemer, nur die halbe Strecke schwanken zu müssen. Ich kichere vor mich hin. Der Sitznachbar schaut herüber – ich spüre es förmlich – ich schau ihn an – immer noch ein Lachen im Gesicht. Er erwidert es. Da er sehen kann, dass ich an meinem Notebook schreibe, wird er sich seinen Teil schon denken. Wenn der wüsste, dass ich ihn jetzt erwähnt habe – wieder muss ich lachen. Ja wenn doch aber heute so gar nichts spektakuläres passiert.
Mein Fazit, lassen wir das Boardrestaurant da, wo es eben ist, an einem Ende des Zuges, denn wenn ich erste Klasse buchen würde, hätte ich es ja nicht so weit.
Ahhh, kommt mir ein Gedanke.
Der Vorteil der ersten Klasse: sie sind quasi neben dem Restaurant.
Pffff, schon gemein, denke ich erneut und kichere. Dann versuche ich es eben das nächste Mal mit einer erste Klasse Buchung. Mal schauen, wie das dann so ist.